Mut, zu sprechen

In Celle finden Demos gegen Schwurbelnde statt. Das ist nichts Außergewöhnliches. In den meisten deutschen Städten gibt es inzwischen Demos von Schwurbler:innen, und auch Demos gegen diese Demos, um den Lügen, Halbwahrheiten und gesellschaftlichen Absonderungen Fakten, Diskurs und gesellschaftliche Solidarität entgegenzusetzen.

Auf einer der ersten Demonstrationen gab es ein offenes Mikrofon. Erste Rednerin dabei war eine Frau, die gleich als "jemand von der Gegenseite" vorgestellt wurde. Es war merklich schwer für sie, diesen Gang anzutreten. Ohnehin schon schwer genug, sich überhaupt vor eine Menge Menschen zu stellen und etwas zu sagen. Aber noch einmal schwerer mit der Bürde, "die Gegenseite" zu vertreten. Ihre Worte waren wenig gehaltvoll, ihr Redebeitrag nicht sehr erhellend. Sie stockte vor Beklommenheit. Auch das Ziel ihres Beitrags wurde nicht richtig klar. Schnell wurde sie ausgebuht. Es gab Forderungen, das Mikrofon abzuschalten. Schließlich zog sie sich auf Bibelzitate zurück, was ebenfalls nicht zu mehr Akzeptanz beitrug. Leute gingen fort, um sich "das nicht anhören zu müssen".

Ich muss sagen, ich hatte vor allem Mitleid mit dieser Frau. Es schien mir mutig von ihr, sich an dieses Mikrofon zu trauen, von dem sie wissen musste, dass es ihr keinen Beifall einbringen konnte. Und sie hatte keine Chance. Von Anfang an. Ich weiß nicht, ob sie es mit einem besseren Start und weniger Ablehnung noch geschafft hätte, etwas Interessantes oder Relevantes von sich zu geben. Vielleicht nicht. Aber wir haben ihr auch keine Chance dazu gegeben. Von Anfang an.

Wir, die auf der Seite der Solidarität stehen wollen. Auf der Seite des gesellschaftlichen Diskurses. Wir, die gegen das "wir gegen die anderen" der 'anderen' aufstehen wollen.

Ich muss mir nicht alles anhören. Wenn mir jemand im Ernst von absurden Ideen und abwegigen Vorstellungen erzählen möchte, dann ist es mein Recht, darüber zu lachen und meine Ohren zu verschließen. Und es gibt Grenzen des Erträglichen und Hinnehmbaren. Wenn jemand Lügen erzählt, die andere Menschen gefährden, sie von sicherem Verhalten, vom Schutz Benachteiligter abhalten sollen, dann gibt es nur eine Antwort: Widerspruch. Wenn jemand mit dem Finger auf Menschen zeigt und sagt, "das ist unwertes Leben", dann gibt es nur eine Antwort: Widerspruch. Wenn jemand die gesellschaftliche Solidarität bekämpft, dem Miteinander ein "wir gegen die" entgegensetzt, Menschen ausgrenzt und gefährdet. Dann heißt es aufstehen. Nein sagen. Rassismus ist keine Meinung. Entmenschlichung ist keine Meinung.

Aber wir sollten uns klar sein, dass wir in diesem Kampf Menschen gegenüber stehen. Diese Menschen mögen fehlgeleitet sein, mögen merkwürdige, absurde Vorstellungen haben. Aber auch sie sind Menschen. Wir dürfen ihrer Ideologie widersprechen, ihrem Geschwurbel Fakten entgegensetzen, ihrem unsolidarischen Verhalten Vorbilder und ihrer Gefährdung gegenseitige Hilfe und Zuversicht. Wir dürfen über ihre wirren Theorien lachen. Aber wir sollten uns nicht auf ein "wir gegen die" zurückziehen. Sie nicht zu entmenschlichten Gegnern erklären. Sie nicht ausschließen, weil sie "die anderen" sind.

Eine Spaltung der Gesellschaft ist nicht das, was wir als Gesellschaft wollen sollten. Eine offene Gesellschaft muss Diskurs und Widerspruch aushalten. Muss Menschen akzeptieren, die anderer Meinung sind. Auch wenn diese Meinung wirre Ideen sind und in Parlamente getragen wird.

Wir sollten nicht diejenigen sein, die den gesellschaftlichen Diskurs opfern, nur weil einzelne ihn aufgeben oder sogar torpedieren. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Wenn wir anfangen, sie weiß zu malen, helfen wir nur denjenigen, die sie schwarz malen wollen. Wir müssen akzeptieren, dass eine Gesellschaft bunt ist. Manchmal sehr bunt. Und dass graue Menschen Menschen sind.